Samstag, 9. August 2008

Von der klassischen Lehre des Hufbeschlags

©2008/Dirk Ludwig

Kennen sie das Gleichnis vom kaukasischen Kreidekreis? Bert Brecht hat hier ein klassisch chinesisches Thema zu einem modernen Theaterstück verarbeitet, das uns auch heute noch viel zu erzählen hat. Unvergessen bleibt die Weigel in der Hauptrolle am Deutschen Theater in Berlin. Zwei Frauen streiten erbittert um ein Kind. Nicht um seine Liebe, vielmehr um das Recht, es mit jener Fürsorge zu bedenken, die es erwachsen werden läßt. Die eine der Frauen, die leibliche Mutter schreckt vor der letzten Konsequenz, dem Zerschneiden des Kindes, damit jede eine Hälfte bekomme, zurück, während die andere, falsche Mutter, die Verletzung des Kindes aus egoistischen Motiven in Kauf nimmt. Wie die beiden um das Kind streitenden Frauen sind heute die klassische Lehre des Hufbeschlages und sogenannte alternative Methoden die Antipoden, die um die Gunst des Kunden buhlen. Die dabei vorgebrachten Argumente lassen sich grob in zwei Kategorien als These und Antithese einteilen. Fachliche Wertungen wollen wir bei der Einteilung zunächst unberücksichtigt lassen und auf sie etwas später eingehen.

Als Anhänger der These finden wir Vertreter der klassischen Lehre. Es sind zumeist Hufschmiede und Tierärzte, die ihre Ansicht mit der wissenschaftlichen Erforschung des Gegenstandes begründen und daraus ihre gefestigte Position herleiten. Sie gruppieren sich vor allem um die Forschungs­einrichtungen der Universitäten und deren Lehrschmieden. Auf der Seite der Antithese finden sich eine Reihe von Personen zusammen, die ihre Positionen als Gegensatz zur klassischen Lehre begreifen und gerade aus diesem Gegensatz einen wesentlichen Teil ihrer Argumentation herleiten. Was sie installieren wollen ist eine, wie es Hans Freyer einmal nannte, „faule Dialektik“, indem sie behaupten, die von ihnen vertretene Antithese sei bereits die vollkommene Synthese. Blickt man jedoch hinter die Fassade ihrer Argumente fällt auf, daß weder etwas Neues geboten wird, noch, daß es sich um einen ganzheitlichen Ansatz handelt.

Da wir es bei einem solchen Thema mit Bildern und Begriffen und im weitestem Sinne mit Philosophie zu tun haben, wollen wir zunächst einmal den Begriff selbst klären. Philosophie heißt, dem eigenen Willen, Wissen zu erlangen und zu vervollkommnen einen fundierten Weg zu geben. Sie ist kein abgeschlossener Prozeß, vielmehr zwingt uns das Leben selbst zur ständigen Reflektion des einmal Gelernten. Das zeigt sich auch und gerade im Bereich des Hufbeschlages, der durch die fortwährende Vertiefung von Wissenschaft und Forschung einer steten Entwicklung unterworfen ist. So ist falsch anzunehmen, der Hufschmied wolle lediglich einen Beschlag mit Eisen vornehmen, weil er nichts anderes weiß oder wissen will, wie es falsch ist, zu behaupten, die Ablehnung des Eisens als Hufschutz sei besonders fortschrittlich. Beide Denkmodelle sind als halbe Wahrheiten, nur Antithesen zu bereits bestehenden Thesen, die die jeweilige Gegenseite beerben wollen. Es liegt auf der Hand, daß eine Antithese immer nur den Gegensatz darstellt, aber kein neues Niveau repräsentieren kann. Der Pazifist ist in diesem Sinne nichts neues, vielmehr er ist nur der Gegenkrieger, welcher in dem Augenblick zum Totalen neigt, indem seine Existenz von der Gegenseite beobachtet wird. So verhält es sich heute auch mit der Hybris, die um den klassischen Hufbeschlag entstanden ist.

Die Vorwürfe, welche den Hufschmieden mit Vehemenz vorgetragen werden, reichen von einem Ende der Skala bis zum anderen Ende und schrecken auch vor purer Übertreibung nicht zurück. Man wiederholt oft und gerne den Vorwurf, ein Mann (Hufschmied) hätte das Pferd mißhandelt, oder auch, der Hufschmied ist Schmied aus Passion und deshalb nicht in der Lage über einen Hufschutz nachzudenken, der nicht aus Eisen besteht. Ohne es zu merken besorgen sie damit das Geschäft der „falschen Mutter“. Noch näher darauf einzugehen ist im Grunde nutzlos, und doch läßt sich folgendes generell feststellen: In der alten Literatur, vor allem aus Deutschland lassen sich all die heute als besonders modern gepriesenen Thesen bereits nachlesen, was einiges mehr über den allgemeinen Wissensstand von vor einhundert Jahren aussagt, als wir es heute gerne wahrhaben wollen. So schrieben C. Balussa im Jahre 1828 und Christoph de Bach 1834 je eine Abhandlung über den für Mensch und Tier streßfreien Beschlag ohne Zwang, wie H. Möller im Jahre 1907 über neue Materialien im Hufbeschlag nachdachte und in einem Kommentar zur Prüfungsordnung für Hufbeschlagschmiede veröffentlichte. Die darauf folgende Rezeption dieser Gedanken in der frühen Fachliteratur zeigt, daß es sich dabei um bereits tradiertes Wissen handelte.

Sehen wir uns als ein konkretes Beispiel das sogenannte Banana-Eisen aus den USA einmal genauer an. Dieses spezielle Hufeisen wurde anläßlich einer Hufbeschlagstagung an der Berliner Lehrschmiede dem Fachpublikum vorgestellt. Es vereint eine starke Zehen- und Trachtenrichtung, die die Bewegungen der Pferde erleichtern sollen. Dabei handelt es sich auf den ersten Blick um eine Innovation die den Hufbeschlag revolutionieren soll. Auf den zweiten Blick, einem Blick in die Archive des Hufbeschlages zeigt sich jedoch, daß dieses Eisen bereits in den dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts in Deutschland probiert und verworfen wurde. Es ergaben sich größte Probleme in den Gelenken der Pferde, weil das Lebewesen Pferd eben nicht still steht, sondern sich auch im Stand bewegt.

Kunststoffbeschläge sind ebenfalls bereits in den 30er Jahren des vorigen Jahrhunderts in Deutschland produziert und angewendet worden. In jener Zeit waren die Kunststoffe den Belastungen als Hufschutz jedoch nicht gewachsen, so daß sie wieder abgesetzt werden mußten. Der Fakt allerdings bleibt bestehen und gibt uns einen tiefen Einblick in das tatsächliche Wesen des traditionellen deutschen Hufbeschlages. Es gelang viele Jahre nach dem Krieg Herrn Dallmer die alten Gedanken aufzugreifen und dank neuer Technologien und Materialien, die nun zur Verfügung standen, einen Hufschuh zu produzieren, der einen umfassenden Hufschutz gewährleisten kann. Die Verbindung von Kunststoff und Eisen wurde ebenfalls in Deutschland entwickelt und sehr früh bereits industriell hergestellt. Auch hier zeigt sich wie innovativ der Hufbeschlag in Deutschland verstanden wurde.

Um so unverständlicher scheint daher das heute üblich gewordene Gezeter der Einen gegen die Anderen. Leider auch hier nur auf den ersten, flüchtigen Blick! Bei genauerem Hinsehen stellt man recht schnell fest, daß es sich tatsächlich fast immer um raffinierte Reklamestrategien neuer Produkte handelt, welche die tradierten Methoden diskreditieren um Marktanteile für ihrem Wesen nach alte Traditionen und Erfahrungen in nun neuem Gewande zu erschließen. Der uns so verkaufte Fortschritt ist deshalb ein Rückschritt, weil er im Halbwissen der Grenze des eigenen Geschäftes hängen bleibt. Es schwindeln sich die Anhänger der Antithese die Welt mit einem Trick zurecht, indem sie Versatzstücke der klassischen Lehre, aufbereitet und angepaßt als völlig neue Denkmodelle, zu verkaufen suchen. Was aber macht die klassische Lehre tatsächlich aus?

Die klassische Lehre des Hufbeschlages macht einen ganzheitlichen Vorschlag zur fachgerechten Hufzubereitung, indem – in unserem Falle – das Pferd einschließlich seines Lebens in der Welt des Menschen als Gesamtheit gesehen, verstanden und für den Hufbeschlag beurteilt wird. Noch einmal: Als Hufbeschlag werden alle Verrichtungen am Huf verstanden, so auch die Barhufzubereitung, auch bekannt als das Ausschneiden, Auswirken oder Korrigieren! Ausdrücklich wird demnach in der klassischen Lehre die Umwelt, in der das Pferd lebt sowie seine Aufgabe als Reit- Zucht- Trag oder Zugtier in die Bewertung einbezogen und mit den Gegebenheiten des Körpers (Fütterungszustand, Verhältnis des Körpers zu den Hufen und den Gliedmaßen, die Stellung derselben usw.) zu einer Aufgabe für den Schmied verdichtet. Spätestens mit dem letzten Satz sollte deutlich geworden sein, was in diesem Text mit dem Begriff ganzheitlich gemeint ist. Viele hervorragende Vertreter der klassischen Lehre weisen zurecht darauf hin, daß ein Hufbeschlag nicht genügen kann, wenn man das Pferd nicht als Gesamtheit begreift. Zu dieser Gesamtheit gehört das Lebewesen als geliebter Kamerad ebenso wie das Fluchttier. Beide, das Pferd als Kamerad und als domestiziertes Fluchttier, sind demnach umfassend in der Bewertung zu berücksichtigen.

Etwas anders sehen das die sogenannten neuen Theorien, deren wesentliche Vertreter die klassische Lehre als völlig falsche Denkmethode ablehnen und deshalb etwas „ganz Neues“ vorschlagen. Dieser „neue Ansatz“ gerät jedoch zu kurz, weil er den Huf separiert von allen übrigen Bedingungen betrachte und deshalb im Ungefähren stecken bleiben muß. Der Huf ist ein Teil des Körpers und der Körper ein Teil der Welt. Demnach müssen alle Bedingungen in die Beurteilung einbezogen werden, die uns unsere (Um)Welt stellt. Die „neuen Theorien“ werden dagegen an Wünschen und Vorstellungen ausgerichtet und konsequent die so erdachte Vorstellung auf die Bearbeitung der Hufe übertragen. Dabei kommen dann fachliche Besonderheiten heraus, deren Aufzählung wir uns an dieser Stelle ersparen wollen. Kurz gesagt: Sie schaffen neue Bilder und Begriffe ohne die klassische Lehre wirklich verstanden zu haben oder es zumindest zu wollen. Sie lehnen die klassisch-ganzheitliche Lehre des Hufbeschlages aus rein wirtschaftlichen Gründen ab. Ich fühle mich bei deren Argumentation oft an den Pinguin des Zeichners Uli Stein erinnert, der mit säuerlicher Mine das Schild mit der Aufschrift „Dagegen“ durch die Welt trägt.

Auffallend ist weiterhin, daß es sich bei der Antithese nahezu ausnahmslos um Theoreme aus dem angelsächsischen Raum handelt, die zur Begründung dieser „neuen Lehre“ herangezogen werden, deren Ursachen und Denkmodelle jedoch weitaus tiefer reichen. Um hinter die bunte Fassade blicken zu können, müssen wir uns von dem Philosophenkaiser Marc Aurel helfen lassen. Er wies darauf hin, daß die Vereinfachung jene Methode ist, die uns hinter die Dinge blicken läßt, um deren wahres Wesen zu erkennen. Die moderne Diskussion ist die unerträgliche Manifestation einer Zeit, die sich selbst nicht mehr versteht und also nicht mehr das Wesentliche erkennen kann. Das Schlachtfeld ist der Hufbeschlag, der Kampf jedoch ein anderer...

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