Sonntag, 10. August 2008

Die Berliner Lehrschmiede

©2008/Dirk Ludwig


Auf Betreiben Graf von Einsiedels zur Systematisierung des Hufbeschlagswesens wurde die erste Lehrschmiede 1860 für das damalige Königreich Preußen in Milkel (Oberlausitz) eröffnet. Das war ein entscheidender Impuls für den Hufbeschlag in ganz Deutschland, hier wurde der weitgehenden Unordnung bei der Ausbildung und Ausübung des Gewerbes, die Überlegung einer zentralen Richtlinie entgegengesetzt. Mit großem Erfolg, denn wenig später kam es tatsächlich zur Schaffung einer zentralen Lehrschmiede in Berlin. Noch war diese Ausbildungsstätte dem Militär vorbehalten, aber bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts änderte sich das Grundlegend. Nun wurden auch zivile Schmiede an der Lehrschmiede zugelassen. Man erkannte, daß neben der militärischen Bedeutung auch ein enormes wirtschaftliches Interesse an der Gesundheit des Pferdes bestand. Dieses Interesse hat sich inzwischen in ein persönliches Interesse der Pferdeliebhaber in die Gesundheit ihrer Tiere gewandelt. So trägt jede Zeit dazu bei, daß sich unterschiedliche Tendenzen durchsetzen und es bleibt der Fortschritt einzelner Teile immer auch eine Entwicklung des Ganzen.

An der Lehrschmiede in Milkel wurde zur Aufnahmeprüfung seinerzeit verlangt, daß ein komplettes Hufeisen in nur zwei Wärmen geschmiedet wurde! Darüber gibt eine Verordnung Auskunft, die noch heute an der Tür in der Schmiede hängt. Nichts durfte fehlen: Falzen, Stempeln und Lochen, Biegen, Rändern, Aushauen und Kappe anziehen waren nach Vorgabe des Meisters zu bewältigen. Heute steht zwar etwas mehr Zeit zur Verfügung, dafür muß aber noch ein Stab auf die korrekten Endmaße des Hufeisens abgeschmiedet werden. Alles in allem keine leichte Aufgabe, denn die Aufnahmeprüfung in Berlin dauert einen ganzen Tag und umfaßt neben den Tätigkeiten des Hufschmiedes, das Schmieden eines Hufeisens vom Stab sowie ein Schmiedestück aus dem klassischen Schmiedebereich nach Vorgabe.

1787 bekam der Oberstallmeister Graf von Lindenau den Auftrag von Friedrich Wilhelm II. zur Gründung einer Einrichtung zur Ausbildung von Veterinären in Berlin. Die Ursachen bestanden zum einen darin, daß die Verluste an Maultieren und Pferden während des siebenjährigen Krieges immens waren und zum anderen im wiederholten Auftreten von Seuchen. Bereits in dieser Zeit befasste man sich dort auch mit dem Hufbeschlag. Bis zu Graf Einsiedels Vorstoß sollten jedoch noch einige Jahre ins Land gehen. Dennoch waren diese Jahre für den Hufbeschlag keine verlorenen Jahre, denn hier liegen die Wurzeln für die später wirksam werdende wissenschaftliche Forschung in Berlin.

Mit der 1868 an der Tierärztlichen Hochschule gegründeten Heereslehrschmiede Berlin auf das engste verbunden sind berühmte Namen im Hufbeschlag. Vielen bekannt dürfte der Autor des heutigen Standardwerkes für die Ausbildung der Hufschmiede „Der Huf“ Hermann Ruthe sein, der die Berliner Lehrschmiede nach dem Krieg leitete. Weniger bekannt dürfte die Tatsache sein, daß Prof. Ruthe das „Handbuch des Hufbeschlags“ von Theodor Bauer überarbeitete und nach dem Kriege als eben dieses heutige Standardwerk verlegte. Bauer seinerseits überarbeitete das 1887 in Berlin erschiene Köstersche Lehrbuch des Hufbeschlags. Hubert Kösters selbst war als Korps-Roßarzt und technischer Leiter der Berliner Heereslehrschmiede an der Einführung des preußischen Heereshufeisens C87 beteiligt, das später von dem verbesserten Heereshufeisen W32 abgelöst wurde. Dieses Heereshufeisen W32 ist auch heute noch die Grundlage unserer modernen Hufeisen. Allein diese Auswahl zeigt, welche Innovationen von der Berliner Lehrschmiede ausgingen.

Mit der Gründung der Friedrich-Wilhelm-Universität (später Humboldt-Universität) und der Eingliederung der Tierärztlichen Hochschule in die Universität wurde auch die Heereslehrschmiede Berlin in eine zivile Lehrschmiede überführt, in der nun der gesamte Nachwuchs an Hufschmieden unter wissenschaftlichen Gesichtspunkten geschult werden konnte. Grundlage dafür waren Gesetze, die den Hufbeschlag einheitlich regelten. Neben dieser bedeutendsten Lehrschmiede im damaligen Preußen gab es in Berlin auch noch eine Lehrschmiede der Polizei.

Der Gründer und erste Leiter der Berliner Militärlehrschmiede Friedrich Dominik, der übrigens an der Einsiedelschen Schmiede in Milkel die dortige Technik im Hufbeschlag lernte, wie Kösters Korps-Roßarzt, führte die ganzheitliche Beurteilung des Pferdes in die Ausbildung der Schmiede ein und seine Lehren wurden unter anderem von Theodor Bauer und Hermann Ruthe an der Berliner Universitätslehrschmiede weitergeführt. Auch heute noch wird nach diesem überlieferten Modell das Pferd beurteilt. Dominik schuf freilich nichts vollkommen Neues, er bezog sich auf wesentlich ältere Lehren, die aber nach dem 30jährigen Krieg, vor allem auf Grund der Verhältnisse in Deutschland weitgehend in Vergessenheit gerieten.

Die Sammlung des Schmiedemuseums der Humboldt-Universität zu Berlin umfaßt Hufschutz aus 2000 Jahren. Sie wurde 1790 mit der Gründung der Thierarzeneischule begonnen und umfaßt heute noch eine der exklusivsten Sammlungen dieses Metiers. Darunter sind 2000 Jahre alte chinesische Hipposandalen ebenso zu finden, wie Beschläge aus aller Welt. Es gibt seltene Klauenbeschläge und Hufeisen für spezielle Zwecke, die zum Teil über 1500 Jahre alt sind. Werkzeuge zum Huf- und Klauenbeschlag sowie Präparate rund um den Huf runden die Sammlung thematisch ab. Eine letzte öffentliche Ausstellung eines kleinen Teils der Sammlung fand im Martin Gropius Bau 2001 statt. Das Schmiedemuseum selbst war bis vor ein paar Jahren noch öffentlich zugänglich, nun aber soll der Zugang für immer versperrt bleiben und die Sammlung in den Archiven verstauben.

Auch heute werden in der Berliner Lehrschmiede die klassischen Mustereisen geschmiedet. (siehe Bild) Nicht alle finden in dieser Form noch immer Verwendung, was aber der zukünftige Schmied bei der Herstellung lernt ist äußerst hilfreich beim späteren selbstständigen Beschlag. Dabei geht es um die konkrete Fähigkeit, alles aus einem industriell hergestellten Hufeisenrohling herauszuholen, was in ihm steckt. Es geht darum, einen Arbeitsgang, ein Verfahren oder eine technische Finesse beim Schmieden zu fördern, nicht um das traditionelle Hufeisen an sich. Die Ausbildung der Hufschmiede an der Berliner Lehrschmiede orientiert sich noch immer weitgehend an den Grundsätzen, die in der Vergangenheit erarbeitet wurden und schließt neue Materialien zum Hufschutz selbstverständlich mit ein. Damit bleibt die Berliner Lehrschmiede auch heute noch eine gute Wahl für den zukünftigen Hufschmied. Mehr noch, ich persönlich ziehe die alles fordernde, harte Ausbildung an einer nicht kommerziell orientierten staatlichen Lehrschmiede jedem anderen Modell vor.

Wohl wissend, daß die Berliner Lehrschmiede besonders von jenen wenig geschätzt wird, die das Vorschmieden nicht bestehen konnten, oder anderen, die noch nie für wenigstens ein paar Tage dort gelernt haben, bleibt festzustellen, daß die große preußische Schmiede-Tradition auch heute noch lebendig ist. Sie zog nach der Wiedervereinigung Deutschlands von der Humboldt-Universität mit ihren Trägern in die Freie-Universität um. Ich selbst bin stolz, als Absolvent der Berliner Lehrschmiede ein Teil dieser altehrwürdigen Tradition zu sein. Nichts gibt es geschenkt, man kann es nur durch Blut, Schweiß und Tränen erwerben um es am Ende tatsächlich zu besitzen! Keine Aussage ist zutreffender für die Berliner Hufbeschlaglehrschmiede.

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